Hardwaretest: 360 Fly 4K – die Fliege an der Wand

Bewegte Bilder sind noch gar nicht so alt. Bewegte Bilder für sich selbst zu erstellen sind noch viel jünger. Mit der Einführung der ersten Videokameras noch im handlichen Kofferformat und preislich im Bereich eines Kleinwagens wurde aber eine rasante Entwicklung in Gang gesetzt. Heute ist von der Spionage-Kamera in Stecknadelkopf-Größe bis hin zum professionellen Video-Set fast alles verfügbar, was die aktuelle Technik eben anbieten kann. Aber alle Kameras hatten bisher eines gemeinsam – sie filmten nur zweidimensional.

Der erste grandiose 360-Grad-Effekt auf der Leinwand wurde 1999 im Film Matrix noch mit einem kreisrunden Aufbau rund um den Schauspieler Keanu Reeves erzielt. Der Zeitlupenschwenk namens Bullet-Time-Effekt wurde mit 122 Spiegelreflex- und 2 Filmkameras erst möglich und sorgte damals für offene Münder. Aber das ist Schnee von gestern.

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Moderne Videoschnittprogramme für den Heimbereich sind inzwischen in der Lage, Aufnahmen von bis zu vier Kameras so anzuordnen, dass eine Szene aus verschiedenen Positionen zusammengeschnitten werden kann. Aber das ist eben immer noch kein echter 360 Grad Effekt. Erschwerend kommt hinzu, dass heute jedes halbwegs vernünftige Smartphone über eine stellenweise erstklassige Kamera verfügt – wozu also noch teures Equipment kaufen, wenn man das Handy ohnehin immer dabei hat?

Zeit also, einen neuen Trend anzustoßen. Und der heißt echtes 360-Grad-Video. Allein die Verpackung und das witzige Logo machen schon Lust auf das, was da kommen mag. Packungsinhalt der 360 Fly sind die Kamera, ein ungewöhnliches magnetisches Ladegerät samt USB-Kabel und dazu gehöriger kleiner Tasche, eine minimalistische, englische Kurzanleitung und ein Adapter mit 1/4 Zoll-Gewinde zur Befestigung an nicht genormten Stativen. Hier ist also zum Glück kein weiteres, spezielles 360 Fly Zubehör mehr nötig, ganz im Gegensatz zu zahlreichen Action-Cams, bei denen die Hersteller ihr (kostspieliges) eigenes Süppchen kochen. Aber selbstverständlich kann man auch für die 360 Fly entsprechendes Zubehör beim Hersteller erwerben – angefangen bei der speziellen VR-Brille, über einen Saugnapf für Scheiben bis hin zu den verschiedensten Halterungen für jede erdenkliche Action-Aufnahme.

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Die Kamera selbst sieht auf den ersten Blick aus wie der Todesstern aus Star Wars oder ein futuristisches Stück Technik im Tarnkappen-Design. Die Oberfläche ist aus etlichen Polygonen zusammengesetzt und wirkt damit wie eine Design-Studie eines ambitionierten Grafikers – das wirkt nicht nur sehr cool, die ganze Konstruktion ist somit auch staub-, wasser- und stoßresistent. Auch ohne das spezielle Gehäuse für Tauchgänge ist sie bis zu 10 Metern Tiefe wasserdicht!
Die einzige Linse ist nach oben ausgerichtet, bietet mit 2880 x 2880 Pixeln echtes 4K und ermöglicht so in der waagerechten Aufnahme echte 360 Grad und in der vertikalen noch ganze 240 Grad. Das Format bringt also mehr Fläche, als die Panorama-Aufnahme einer Foto-Kamera. Verbaut sind ein 64GB-Speicher für gut 2 Stunden Aufnahmezeit. Beim Modell ohne 4K waren es nur 32GB.

Der unten abgeflachte Ball wiegt knapp über 130 Gramm. Das ist augenscheinlich viel, aber wenn man bedenkt, was an Technik untergebracht ist, relativiert sich das Gewicht doch schnell. Ein einziger Schalter sorgt für alle benötigten Funktionen, nämlich anschalten und aufnehmen, sowie beenden der Aufnahme. Ein Display sucht man vergeblich. Die Kamera nimmt ja 360 Grad auf, man ist also nicht auf ein einzelnes Element fokussiert. Daher ist ein energieraubendes Display mehr als unnötig. Die farbige LED-Statusanzeige und heftige Vibrationen beim An- und Asusschalten sind vollkommen ausreichend.

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Ungewöhnlich ist die magnetische Ladestation. Statt ein USB-Kabel umständlich in die Kamera zu stopfen, wird der Ball einfach auf das Ladegerät gelegt. Der erste Ladevorgang beträgt ca. 30 Minuten, der dreieckige Schalter blinkt dabei in einem kräftigen Grün. Der Akku soll laut Hersteller bis zu 90 Minuten ausreichen. Damit sind dann auch längere Aufnahmen möglich. Im Ladebereich ist ebenfalls ein 1/4 Zoll Gewinde untergebracht. So lässt sich die Kamera direkt und ohne zusätzliche Bauteile oder Adapter auf jedes klassische Stativ oder an entsprechende Halterungen schrauben.

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Die Inbetriebnahme ist eigentlich simpel – wenn denn auf Anhieb alles funktioniert. Dazu lädt man sich im Google- oder Apple-Store das zur 360Fly gehörige Programm herunter, je nachdem, auf welchem Gerät man eben die Aufnahmen betrachten möchte oder alternativ für den PC den 360 Fly Director. Wir haben zum ersten Test unser Samsung S5 Edge verwendet und uns die 55MB große, deutschsprachige Datei installiert. Es erfolgt eine Registrierung, ohne die die Kamera nicht aktiviert werden kann.
Die vollständige deutsche Anleitung für die Einrichtung der App findet ihr hier >>>

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In unserem unsäglichen Talent, Fehler zu finden oder mit Schwung in ein Fettnäpfchen zu hüpfen, haben wir der Kamera verweigert, Zugriff auf die Daten des Handys zu nehmen. Als Gegenleistung hing sich das Programm auf. Wildes Geflacker auf dem Bildschirm, welches selbst nach einem Neustart des Handys anhielt. Erst die komplette Deinstallation und danach Neuinstallation mit anschließender Neueinrichtung der Kamera brachte Abhilfe.

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Sind dann Mobilgerät und Kamera endlich per Bluetooth miteinander verbunden und steht die Kamera an ihrem Platz, irrt man mit dem Handy als Bildschirm erst einmal etwas desorientiert durch die Gegend. Eine 360-Grad Aufnahme ist eben doch etwas anderes, als eine im ursprünglichen Sinn. Bei zweidimensionalen Aufnahmen richtet man das Objektiv auf das Objekt der fotografischen Begierde und drückt den Auslöser. Bei der 360 Fly rennt man mit dem Smartphone herum, dreht sich im Kreis und schwenkt den Bildschirm, bis man sich einigermaßen orientiert hat. Es dauert ein wenig, bis der Kopf begreift, dass man ein 360 Grad Abbild der Umgebung sieht.

Die App selbst benötigt einen längeren Moment der Einarbeitungszeit. Zahlreiche kleine Icons auf dem Bildschirm animieren zum darauf Herumdrücken, ohne die wirkliche Funktion dahinter zu erahnen. So haben wir versehentlich den Live-Stream zwischen Handy und Kamera gekappt ohne zu wissen, wie wir den ohne Neustart der App wiederherstellen? Beim Druck auf den Aufnahmebutton sagt ein kleines Fenster jedoch, dass die Kamera nun auch ohne Stream aufnimmt. Für die optimale Nutzung der Kamera empfiehlt es sich, zuerst die deutsche Anleitung der App zu studieren, um die umfangreichen Möglichkeiten auch nutzen zu können.
Den Link dazu findet ihr hier >>>

Da also die Verwendung der App anfangs ohne lesen der Anleitung eher Try-and-Error ist, haben wir uns den 360 Fly Director auf den PC geladen. Aber auch diese an sich einfache Nummer funktionierte erst nach mehreren Anläufen. Denn nach der Installation des Programms wird die Kamera per USB-Ladestation mit dem PC verbunden. Der Windows-Explorer fand die Kamera auf Anhieb, der 360 Fly Director hatte sich da zickiger. Erst nach einigen Neustarts von Programm und Kamera stand die Verbindung.

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Mangelte es der App an technischem Verständnis, macht der 360 Fly Director vieles wieder wett. Endlich kann man seine aufgenommenen Filme oder Fotos betrachten, bearbeiten, auf den PC laden oder auf Youtube oder Facebook direkt hochladen. Aber beim Betrachten der Filme macht sich dann sofort der Unterschied zu klassischen Action- und sonstigen Cams bemerkbar. Denn die Kamera benötigt bessere Lichtverhältnisse für ihre Aufnahmen. Bei Außenaufnahmen bei bewölktem Himmel war das erstellte Video doch recht dunkel. Auch bei sich ändernden Lichtverhältnissen zwischen Licht und Schatten hängt das Video hinterher. Es dauert einen Moment, bis sich das Bild den Lichtverhältnissen anpasst.

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Auch muss dringend darauf geachtet werden, wohin das Mikrofon ausgerichtet ist. Dies gilt besonders bei Dialogen, da hier ansonsten Ton verloren geht. Das Bild mag 360 Grad aufnehmen, das gilt aber noch nicht für den Ton. So waren hinter der Kamera sprechende Personen bei Änderung des Blickwinkels nach hinten zwar zu sehen, aber eben nicht mehr zu hören.

Und trotz dieser Schwächen staunt man dann beim Betrachten seiner Videos, was die kleine 360 Fly ermöglicht. Denn wie schon erwähnt muss man erst einmal umdenken. Bisher betrachtete man ein Video, wie man eben ein Video betrachtet – zweidimensional, eingeschränkt in Breite und Höhe. Diese Restriktionen entfallen nun fast vollständig. Es eröffnen sich im wahrsten Sinne des Wortes vollkommen ungeahnte Perspektiven.

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Und spätestens jetzt sollte man sich mit seiner Handy-App vertraut gemacht haben, denn diese bietet mehr Möglichkeiten als auf den ersten Blick erkennbar ist. In den Einstellungen lassen sich Helligkeit, Farben und Kontrast anpassen, um so die Aufnahmen der 360 Fly den eigenen Bedürfnissen anzupassen. Es lassen sich Zeitraffer-Funktionen aktivieren oder auch der sogenannte POV-Modus. In diesem können klassische 16:9 Videos ohne 360-Grad Effekte erstellt werden.

Um Videos bearbeiten zu können, müssen diese entweder auf das Handy oder den PC geladen werden. Eine Bearbeitung auf der Cam selbst ist nicht möglich. Aber diese Bearbeitung bietet dann viele Möglichkeiten. Videos werden geschnitten, mit bekannten Effekten wie Sepia, Schwarz/Weiß und zahlreichen anderen Filtern hinterlegt, es kann ein Soundtrack hinterlegt oder die Abspielgeschwindigkeit auch für einzelne Abschnitte verändert werden. Besonders gelungen fanden wir den Button, der den Bildausschnitt automatisch auf Bewegung ausrichtet. Laut Anleitung ist das Schneiden von einem Clip mit maximal 2 Minuten Länge möglich, der dann direkt ins Netz hochgeladen werden kann.

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Bei Bildausschnitten, die doch eher nicht für alle Augen bestimmt sind, hilft die Funktion Watch Me. Hier wird ein Standard HD Video mit vom Anwender gewählten Bildausschnitten erstellt. Und hat man ein besonders gelungenes Motiv im Video, macht man daraus einfach ein Foto. Und wer vielleicht bereits im Besitz einer VR-Brille ist, taucht damit endgültig in neue Welten. Mit der Bewegung des Kopfes ändert sich dann auch die Kameraperspektive.

Das neu in die Kamera intergrierte Live-Streaming von Videos über Livit ist bisher nur für iOS- Geräte verfügbar, ein Update für Android folgt. Das gleiche gilt für 360-Grad Videos auf Facebook, auch hier folgt ein Update in Kürze.

Unsere Fertigkeiten in Sachen Video sind doch eher für den Hausgebrauch, wie aber professionelle Filme mit der 360 Fly aussehen, findet ihr auf der Seite des Herstellers >>>

Fazit:

Die Idee einer 360 Grad Kamera ist großartig, aber die Technik steht noch am Anfang. Das galt aber schon für die ersten klassischen Kameras und die Entwicklung verlief bisher rasant. Heute bieten aktuelle Smartphones schon integrierte Kameras, die teurem Equipment von vor ganz wenigen Jahren qualitativ längst das Wasser abgegraben haben. Von daher wird auch die 360 Fly eine neue Entwicklung vorantreiben.

Hier war es dennoch erst Liebe auf den zweiten Blick. Nach anfänglichen Problemen mit der App und dem Director und dem mühsamen Zusammensuchen aller verfügbaren Informationen auf der Website des Herstellers, erschlossen sich erst langsam die Funktionsweisen und Möglichkeiten der 360 Fly. Warum muss man erst lange stückchenweise auf der Website suchen um zu erfahren, was POV ist? Warum führt der Link Learn more zur Anwendung der App ins Leere? Hier sollte man schnellstmöglich nachbessern.

Wer also Lust auf völlig neuartige Perspektiven hat, gerne experimentiert, sich auch durch anfangs wackelige Software nicht abschrecken lässt und mit einer kleinen Schwäche bei nicht optimalen Lichtverhältnissen oder dem Ton leben kann, findet in der 360 Fly 4K eine außergewöhnliche Kamera. Das beginnt beim auffälligen Design und endet bei bis dato nie gekannten Aufnahmen.

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Link zur Herstellerseite: 360 Fly

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